7

Ashling wachte am Sonntag um zwölf Uhr auf und fühlte sich ausgeruht und nur leicht verkatert. Sie legte sich aufs Sofa und rauchte mehrere Zigaretten, bis Ein Duke kommt selten allein zu Ende war. Dann ging sie raus, kaufte Brot, Zigaretten und Zeitungen - ein Käseblatt und eine richtige Zeitung, als Gegengewicht zu dem Käseblatt.

Nachdem sie sich mit so vielen aufgebauschten Reportagen über Ehe- und Treuebrüche vollgestopft hatte, dass ihr fast übel wurde, beschloss sie, die Wohnung aufzuräumen. Das Aufräumen bestand darin, dass sie ungefähr zwanzig schmutzige Teller und ebenso viele halbleere Wassergläser vom Schlafzimmer in die Küche trug, eine leere Häagen-Dazs-Packung aufhob, die unter die Couch gerollt war, und die Fenster öffnete. Sie weigerte sich, Staub zu wischen, aber sie versprühte Mr. Sheen im Raum, und allein bei dem Geruch fühlte sie sich tugendhaft. Sie schnüffelte an der Bettwäsche - wunderbar, eine Woche könnte sie das Bett noch lassen.

Dann guckte sie nach, ob das Kostüm, das sie hatte reinigen lassen, auch nicht gestohlen worden war, obwohl es kaum verschwinden konnte. Es hing noch im Schrank, neben einer sauberen Bluse. Morgen war der große Tag. Ein ganz großer Tag. Schließlich trat sie nicht jeden Montag eine neue Stelle an. Das letzte Mal war sogar schon acht Jahre her, und sie war schrecklich nervös. Aber auch voller Vorfreude, sagte sie sich und ignorierte ihren aufgeregten Magen.

Und jetzt? Staubsaugen, entschied sie, denn wenn man es richtig machte, war es eine sehr gute Übung für die Taille. Also holte sie den rosa-lindgrünen Dyson hervor. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass sie so viel Geld für ein Haushaltsgerät ausgegeben hatte. Geld, das sie ebenso gut auch in Handtaschen oder Wein hätte anlegen können. Sie konnte nur die Schlussfolgerung daraus ziehen, dass sie endlich erwachsen war. Was ihr komisch vorkam, denn innerlich fühlte sie sich immer noch wie sechzehn und wusste nicht, was sie machen sollte, wenn sie von der Schule abging.

Sie schaltete den Staubsauger ein und schob ihn über den Fußboden, wobei sie sich mit viel Energie in der Taille drehte und streckte. Zum Glück dauerte die Übung nicht lange, wie ihre sehr verkaterte Nachbarin eine Treppe tiefer (Joy) erleichtert feststellte - Ashlings Wohnung war einfach winzig klein.

Aber sie liebte die Wohnung über alles. Als sie ihre Stelle verlor, war ihre größte Angst, dass sie die Ratenzahlungen nicht würde einhalten können. Sie hatte die Wohnung drei Jahre zuvor gekauft, als ihr endlich klar geworden war, dass sie und Phelim niemals gemeinsam ein Kaufangebot für ein Cottage mit Kletterrosen um die Tür unterbreiten würden. Allerdings verstand sie es auch als kleines Manöver, denn natürlich hoffte sie, dass Phelim herbeigesaust kommen würde, während sie die Zusagen für die Kredite bekam, und sich bereit erklären würde, mit ihr zusammen die übliche Vier-Zimmer-Doppelhaushälfte in einem fernen Vorort zu erwerben. Doch schweren Herzens musste sie erkennen, dass er das nicht tat, und ihr Kaufvertrag wurde abgeschlossen. Damals war es ihr wie ein Eingeständnis ihres eigenen Versagens vorgekommen.

Doch inzwischen war das anders. Diese Wohnung war ihr Hafen, ihr Nest, ihr erstes richtiges Zuhause. Seit sie siebzehn war, hatte sie in gemieteten Löchern gehaust, in anderer Leute Betten geschlafen, auf durchgesessenen Sofas gesessen, die der Vermieter wegen des günstigen Preises gekauft hatte, und nicht, weil man auf ihnen bequem sitzen konnte.

Als sie einzog, besaß sie kein einziges Möbelstück. Abgesehen von wenigen lebenswichtigen Dingen wie einem Bügeleisen, einem Stapel fadenscheiniger Handtücher, einigen nicht zusammenpassenden Laken und Kissenbezügen hatte sie nichts und musste alles neu kaufen. Und hier lag auch der Grund für einen von Ashlings seltenen Wutausbrüchen. Denn es machte sie unglaublich sauer, dass sie Monat für Monat ihr Kleidergeld für alle möglichen dummen Dinge ausgeben musste. Für Stühle, zum Beispiel.

»Aber wir können doch nicht auf dem Boden sitzen«, hatte Phelim sie angeschrien.

»Ich weiß«, stimmte Ashling ihm zu. »Ich hatte einfach nicht daran gedacht, dass das auf mich zukommen würde ...«

»Aber du bist doch das absolute Organisationstalent.« Er verstand das nicht. »Ich dachte, du wärst in deinem Element, wenn es um - wie heißt das noch? - Inneneinrichtung geht.«

Sie sah so verloren und traurig aus, dass Phelim ganz sanft sagte: »O Baby, ich helfe dir. Ich kaufe dir ein paar Möbel.«

»Wahrscheinlich ein Bett«, sagte Ashling voller Hohn.

»Naja, da du es erwähnst...« Phelim schlief sehr gern mit Ashling. Ein Bett für sie zu kaufen war sicherlich kein Fehler. »Kann ich es mir leisten?«

Ashling überlegte. Nachdem sie Phelims Geldangelegenheiten neu geordnet hatte, ging es ihm viel besser.

»Wahrscheinlich schon«, sagte sie schmollend. »Wenn du es mit Kreditkarte kaufst.«

Verbittert und missmutig beantragte sie ein Darlehen und kaufte ein Sofa, einen Tisch, einen Schrank und ein Paar Stühle. Das musste reichen, beschloss sie. Über ein Jahr lang weigerte sie sich, Jalousien zu kaufen. »Ich putze einfach die Fenster nicht«, sagte sie. »Dann kann keiner reinsehen.« Und einen Duschvorhang kaufte sie erst, als die täglichen Pfützen zu Joy hindurchsickerten.

Aber irgendwann im Lauf der Zeit hatten sich ihre Prioritäten verschoben. Obwohl sie keineswegs eine so besessene Innenarchitektin war wie Clodagh, kümmerte sie sich inzwischen gern um ihre Wohnung. So gern, dass sie nicht nur einen Satz Bettwäsche ihr eigen nannte, sondern zwei (einen im modischen JeansLook und einen blitzend weißen mit einem Waffelmuster-Überwurf). Erst kürzlich hatte sie vierzig Pfund für einen Spiegel ausgegeben, den sie eigentlich gar nicht brauchte und einfach nur hübsch fand. Zugegeben, sie hatte den Kauf in der prämenstruellen Phase getätigt, als sie nicht ganz klar im Kopf gewesen war, aber dennoch. Und dass sie eine Grenze überschritten hatte, war in dem Moment klar, als sie dreihundert Pfund für einen Staubsauger ausgegeben hatte.

Es klopfte an der Tür. Joy, weiß wie ein Gespenst, kam herein.

»Entschuldigung, ich habe es etwas übertrieben mit dem Saubermachen«, sagte Ashling. »Habe ich dich geweckt?«

»Das macht nichts. Ich muss sowieso nach Howth rausfahren und meine Mammy besuchen.« Joy machte ein bekümmertes Gesicht. »Ich kann nicht schon wieder absagen. Ich habe mich schon an den letzten vier Sonntagen gedrückt. Aber wie soll ich es überleben? Sie tischt bestimmt einen riesigen Sonntagsbraten auf und besteht darauf, dass ich ihn esse, und dann wird sie mich den ganzen Nachmittag lang ausfragen und versuchen rauszukriegen, ob ich glücklich bin. Du weißt ja, wie Mütter so sind.«

Ja und nein, dachte Ashling. Mit der Frage: »Bist du glücklich?« war sie vertraut, nur dass Ashling es war, die damit den Glückspegel ihrer Mutter herauszukriegen versuchte, und nicht umgekehrt.

»Wenn sie das Sonntagsessen nur zu einer zivilisierten Zeit servieren würde«, klagte Joy.

»Dienstagabend, zum Beispiel.« Ashling grinste. »Du hast Ted heute noch nicht gesehen, oder?«

»Noch nicht. Wahrscheinlich hat er gestern Abend das große Los gezogen und weigert sich jetzt, das arme Ding zu verlassen.«

»Er war wirklich erstaunlich gut in Form. Und, erzählst du mir freiwillig, wie es mit dem Halb-Mann-halb-Dachs-Typen gelaufen ist, oder muss ich dich erst in die Zange nehmen?«

Joys Miene hellte sich sofort auf. »Er war heute Nacht bei mir. Wir haben zwar nicht miteinander geschlafen, aber ich habe ihm einen geblasen, und er hat gesagt, er würde mich anrufen. Mal sehen, ob er es tut.«

»Eine Schwalbe macht noch keine Beziehung«, warnte Ashling sie mit der Weisheit der Erfahrung.

»Wem sagst du das? Gib mir mal -« Joy beugte sich zu den Tarot-Karten vor. »Mal sehen, was sie sagen. Die Herrscherin? Was heißt das?«

»Fruchtbarkeit. Pass auf, dass du schön deine Pille nimmst.«

»Himmel! Und wie ist es dir gestern ergangen? Hast du jemand Nettes kennen gelernt?«

»Nein.«

»Du musst dich mehr anstrengen! Du bist einunddreißig - die guten Männer sind bald alle vergeben.«

Ich brauche gar keine Mutter, dachte Ashling. Nicht, solange ich Joy habe.

»Und du bist achtundzwanzig«, gab Ashling zurück.

»Ja, und ich schlafe mit Dutzenden von Männern.« In sanfterem Ton fragte sie dann: »Fühlst du dich nicht manchmal einsam?«

»Ich habe gerade eine fünf Jahre lange Beziehung hinter mir. Das dauert eine Weile, bis man das überwunden hat.«

Phelim war nicht grausam gewesen, aber seine Unfähigkeit, sich zu ihr zu bekennen, hatte die Wirkung, dass Ashling mit Liebesdingen nichts zu tun haben wollte. Seit ihrer Trennung blies die Einsamkeit wie ein kalter Wind durch ihr Leben, aber sie konnte sich unmöglich mit einem neuen Mann einlassen. Allerdings hatte es auch nicht allzu viele Angebote gegeben.

»Es ist jetzt fast ein Jahr her - du hast Phelim längst überwunden. Ein neuer Job, ein neuer Anfang. Irgendwo habe ich gelesen, dass hundertfünfzig Prozent aller Menschen ihren Partner bei der Arbeit kennen lernen. Hast du bei deinem Vorstellungsgespräch irgendwelche sexy aussehenden Männer gesehen?«

Ashling dachte sofort an Jack Devine. Einer, der einem das Leben schwer machte. Der einem den letzten Nerv raubte.

»Nein.«

»Nimm eine Karte«, forderte Joy sie auf.

Ashling hob ab und hielt die Karte hoch.

»Die Acht der Schwerter. Was bedeutet das?«, fragte Joy.

»Veränderung«, sagte Ashling zögernd. »Aufruhr.«

»Gut, das ist auch längst fällig. Also, ich sollte mich auf den Weg machen. Ich reibe mal den Glück bringenden Buddha, damit ich im Bus nicht kotze. Oder besser noch«, fiel ihr da ein, »vergiss den Buddha. Kannst du mir Geld für ein Taxi leihen?«

Ashling gab Joy eine Zehn-Pfund-Note und zwei Plastiktüten mit Müll, in denen es verdächtig klirrte. »Kannst du die für mich in den Müllschlucker werfen? Danke.«

Eine Viertelmeile entfernt in Malone‘s Aparthotel dehnte sich der Sonntag unendlich lang vor Lisa aus. Sie hatte die irischen Sonntagszeitungen gelesen - also, zumindest die Klatschspalten. Und die waren das Letzte! Sie bestanden hauptsächlich aus Fotos von dickbäuchigen Politikern mit geplatzten Äderchen im Gesicht, die gute Laune und Geldgeschenke verbreiteten. Also, in ihrer Zeitschrift würden die bestimmt keinen Platz eingeräumt bekommen.

Sie zündete sich eine neue Zigarette an und schlich missgelaunt im Zimmer herum. Was machten die Menschen, wenn sie nicht arbeiteten? Sie besuchten ihre Freunde, sie gingen in den Pub oder ins Fitness-Studio oder einkaufen, sie renovierten die Wohnung oder trafen sich mit ihren Liebsten. So viel hatte sie behalten.

Sie hätte gern mit jemandem gesprochen und überlegte, ob sie Fifi anrufen sollte, mit der sie fast so etwas wie Freundschaft verband. Vor vielen Jahren waren sie bei Sweet Sixteen Volontärinnen gewesen. Als Lisa bei Girl in das Unterhaltungsressort wechselte, verschaffte sie Fifi die Stelle der Kosmetik-Redaktionsassistentin. Als Fifi die Leitung des Unterhaltungsressorts bei Chic übernahm, informierte sie Lisa rechtzeitig über die freie Textchef-Stelle. Als Lisa ging und stellvertretende Chefredakteurin bei Femme wurde, übernahm Fifi ihre Stelle bei Chic. Zehn Monate nachdem Lisa Chefredakteurin bei Femme wurde, übernahm Fifi den gleichen Posten bei Chic.

Fifi gegenüber konnte Lisa ihre ganzen Klagen loswerden während alle anderen grün vor Neid waren, wusste Fifi genau, welche Niederungen und Gefahren ihre so genannten glanzvollen Jobs bargen.

Aber irgendetwas hinderte Lisa, Fifis Nummer zu wählen. Einerseits war es ihr peinlich, andererseits ärgerte sie sich auch. Obwohl sie praktisch parallele Laufbahnen hatten, war Lisa immer eine Spur voraus gewesen. Fifi hatte sich für ihre Beförderungen abrackern müssen, während Lisas Aufstieg glatt vonstatten gegangen war. Sie war fast ein Jahr vor Fifi zur Chefredakteurin gemacht worden, und obwohl Chic und Femme unmittelbar miteinander konkurrierten, lag die Auflage von Femme um hunderttausend höher.

Lisa hatte einfach angenommen, dass ihre Beförderung zur stellvertretenden Chefredakteurin von Manhattan sie so weit nach vorn katapultieren würde, dass sie unerreichbar wäre. Stattdessen war sie nach Dublin versetzt worden, und plötzlich hatte Fifi ohne eigenes Dazutun die Oberhand.

Oliver, dachte Lisa mit einem Glücksgefühl, ich rufe Oliver an. Aber das warme Wohlgefühl verwandelte sich sofort in Bitterkeit. Einen Moment lang war es ihr entfallen.

Ich vermisse ihn nicht, sagte sie streng zu sich selbst. Es ist nur die Langeweile und der öde Tag.

Am Ende rief sie ihre Mutter an - wahrscheinlich, weil es Sonntag war und von daher üblich -, aber anschließend fühlte sie sich beschissen. In erster Linie deshalb, weil ihre Mutter unbedingt wissen wollte, warum Oliver sie angerufen hatte und Lisas Nummer in Dublin erfahren wollte.

»Wir haben uns getrennt.« Lisas Magen zog sich vor Bitterkeit auf Walnussgröße zusammen. Lisa wollte nicht darüber sprechen. Und warum hatte ihre Mutter sie nicht angerufen, wenn sie in Sorge darüber war? Warum musste Lisa immer bei ihrer Mutter anrufen?

»Aber warum habt ihr euch getrennt, Liebes?«

Lisa wusste es selbst nicht genau. »So was passiert«, sagte sie schnippisch und wollte das Thema möglichst schnell beenden.

»Warst du schon mal bei so einer Eheberatung?«, fragte Pauline zaghaft. Sie wollte sich nicht einen der zornigen Ausbrüche von ihrer Tochter einhandeln.

»Sicher.« Lisa sagte das voller Ungeduld. Sie waren einmal hingegangen, und danach hatte Lisa keine Zeit mehr gehabt.

»Werdet ihr euch scheiden lasten?«

»Das nehme ich an.« In Wahrheit wusste Lisa das nicht. Abgesehen davon, dass sie sich wutentbrannt angeschrien hatten - »Ich lasse mich von dir scheiden!«

»Das kannst du nicht, denn ich lasse mich von dir scheiden!« -, war nichts entschieden worden. Seit der Trennung hatten Oliver und sie kaum miteinander gesprochen, aber unerklärlicherweise wollte sie ihrer Mutter wehtun, indem sie es sagte.

Pauline seufzte unglücklich. Lisas älterer Bruder Nigel hatte sich vor fünf Jahren scheiden lassen. Sie war spät Mutter geworden und verstand die Welt nicht, in der die Jungen lebten.

»Man sagt ja, dass zwei Drittel aller Ehen mit Scheidung enden«, sagte Pauline, und sofort wollte Lisa ihre Mutter anschreien und sagen, dass sie sich nicht scheiden lassen würde und dass sie, Pauline, eine gemeine Ziege war, weil sie es auch nur erwähnte.

Paulines Sorge um ihre Tochter rang mit ihrer Angst vor ihr. »Hatte es damit zu tun, dass du ... anders...?«

»Anders, Mum?«, fragte Lisa spitz.

»Naja, weil er... Farbiger ist?«

»Farbiger?«

»Das ist das falsche Wort«, verbesserte Pauline sich hastig und sagte dann kleinlaut: »Schwarzer?«

Lisa schnalzte mit der Zunge und seufzte laut.

»Afroamerikaner?«

»Herr im Himmel, Mum, er ist Engländer!« Lisa wusste, dass sie grausam war, aber sie konnte eine lebenslange Angewohnheit nicht einfach ablegen.

»Englischer Afroamerikaner, meinetwegen«, sagte Pauline verzweifelt. »Jedenfalls sieht er sehr nett aus.«

Pauline sagte das ziemlich oft, weil sie zeigen wollte, dass sie keine Vorurteile hatte. Obwohl ihr beinahe vor Angst das Herz stehengeblieben war, als sie Oliver das erste Mal sah. Wenn man sie nur darauf vorbereitet hätte, dass der Freund ihrer Tochter ein schlanker, glänzender, ein Meter achtzig großer Schwarzer war. Farbiger. Afroamerikaner, was immer der richtige Ausdruck war. Sie hatte nichts gegen ihn - es war nur so unerwartet.

Und nachdem sie sich an ihn gewöhnt hatte, sah sie nicht mehr nur seine Hautfarbe und konnte erkennen, dass er wirklich nett aussah. Was eine Untertreibung war.

Ein großer, ebenholzschwarzer Prinz mit glatter, schimmernder Haut, die straff über schräge Backenknochen gezogen war, mandelförmige Augen und dünne, schwingende Dreadlocks, die ihm bis zum Kinn reichten. Pauline vermutete außerdem, dass er ein prächtiges Gehänge hatte, obwohl sie diesen Gedanken niemals bewusst zulassen würde.

»Hat er eine andere Frau kennen gelernt?«

»Nein.«

»Aber er könnte jemanden kennen lernen. Ein so gut aussehender Mann wie er.«

»Ist mir recht.« Wenn sie das nur oft genug sagte, würde es schließlich der Wahrheit entsprechen.

»Wirst du nicht einsam sein?«

»Ich werde keine Zeit dazu haben«, fuhr Lisa sie an. »Ich muss mich um meine Karriere kümmern.«

»Ich weiß nicht, warum du eine Karriere brauchst. Ich hatte auch keine, und es hat mir nicht geschadet.«

»Ach ja?«, sagte Lisa heftig. »Du hättest aber eine brauchen können, nachdem Dad seine Rückenverletzung hatte und wir von seiner Behindertenrente leben mussten.«

»Aber Geld ist auch nicht alles. Wir waren doch sehr glücklich.«

»Ich nicht.«

Pauline schwieg. Lisa konnte am anderen Ende ihren Atem hören.

»Ich sollte mal auflegen«, sagte sie schließlich. »Das wird ja viel zu teuer für dich.«

»Tut mir Leid, Mum«, seufzte Lisa. »Ich wollte nicht so grob sein. Hast du das Päckchen bekommen, das ich dir geschickt habe?«

»Oh, ja«, sagte Pauline nervös. »Hautcreme und Lippenstift. Sehr schön, danke.«

»Benutzt du die Sachen auch?«

»Na jaaa«, sagte Pauline.

»Also nein«, sagte Lisa pikiert.

Lisa überschüttete ihre Mutter mit teuren Parfüms und Kosmetika, die sie im Rahmen ihrer Arbeit bekam. Sie wollte ihr unbedingt ein wenig Luxus verschaffen. Aber Pauline weigerte sich, ihre Pond‘s-Seife und ihr Rimmel-Parfum aufzugeben. Einmal hatte sie sogar gesagt: »Oh, deine Sachen sind zu gut für mich, Liebes.«

»Sie sind überhaupt nicht zu gut für dich«, war Lisa aufgebraust.

Pauline verstand Lisas Zorn nicht. Sie wusste nur, dass sie Angst vor den Tagen hatte, wenn der Postbote anklopfte und fröhlich verkündete: »Hier ist wieder ein Paket von Ihrer Tochter in London.« Irgendwann musste Pauline dann berichten, wie ihr die Geschenke gefallen hatten.

Bei Bücherpaketen ging es ihr ganz anders. Lisa hatte ihrer Mutter immer die Rezensionsexemplare der neuesten Bücher von Catherine Cookson und Josephine Cox geschickt, weil sie fälschlicherweise annahm, dass ihre Mutter Romane, in denen ein armes Mädchen am Schluss einen reichen Mann heiratet, gern las. Aber eines Tages sagte Pauline: »Das war ja ein gutes Buch, Liebes, das von dem Gangster aus dem East End, der seine Opfer am Billardtisch festgenagelt hat.« Es stellte sich heraus, dass Lisas Sekretärin das falsche Buch für ihre Mutter eingepackt hatte, und damit eröffnete sich für Paulines Lesehunger eine ganz neue Richtung. Jetzt ergötzte sie sich an Gangster-Biographien und gnadenlosen amerikanischen Thrillern - je mehr Folterszenen, desto besser und die Mutter einer Kollegin bekam fortan die Catherine-Cookson-Bücher.

»Wann kommst du uns mal wieder besuchen, Liebes? Es ist schon ewig her.«

»Ehm, ja«, sagte Lisa vage. »Bald, denke ich.«

Bloß nicht! Jedesmal, wenn sie in das Haus kam, in dem sie aufgewachsen war, erschien es ihr noch kleiner und armseliger. In den engen Zimmern, vollgestellt mit schäbigen, billigen Möbeln, kam sie sich mit ihren falschen Nägeln und den polierten Lederschuhen zu funkelnd und fremdartig vor, und mit Unbehagen dachte sie, dass ihre Handtasche wahrscheinlich teurer war als die Draloncouch, auf der sie saß. Und ihre Eltern traten ihrer fabelhaften Tochter mit Staunen und Ehrfurcht gegenüber, waren aber gleichzeitig nervös und befangen.

Sie hätte sich unauffälliger anziehen sollen für ihren Besuch, um die Kluft zu verringern. Aber sie brauchte die teuren Kleider und ihre Sachen wie eine Rüstung, damit sie nicht wieder eingeholt werden konnte von der Vergangenheit.

Sie verabscheute das alles, dann verabscheute sie sich selbst.

»Ihr könnt mich ja auch mal besuchen«, schlug Lisa vor. Wenn sie die halbstündige Zugfahrt von Hemel Hempstead nach London nicht schafften, würden sie wohl kaum den Flug nach Dublin bewältigen.

»Aber deinem Dad geht es doch nicht so gut und ...«

Als Clodagh am Sonntagmorgen aufwachte, hatte sie einen kleinen Kater, fühlte sich aber sonst sehr wohl. Einen Moment lang konnte sie sich an Dylan schmiegen und seine Erektion mit reinem Gewissen ignorieren.

Als Molly und Craig ins Zimmer kamen, sagte Dylan verschlafen: »Geht nach unten und macht das Geschirr kaputt, Mummy und ich wollen noch ein bisschen schmusen.«

Erstaunlicherweise zogen sie ab, und Clodagh und Dylan schlummerten eine Weile weiter.

»Du riechst so gut«, murmelte Dylan in Clodaghs Haar. »Wie Kekse. Ganz süß und... süß ...«

Eine Weile später murmelte sie: »Ich gebe dir eine Million Pfund, wenn du mir Frühstück bringst.«

»Was möchtest du denn?«

»Kaffee und Obst.«

Dylan ging nach unten, und Clodagh streckte sich wie ein zufriedener Seestern quer über das Bett, bis er wiederkam, einen Becher Kaffee in der einen Hand und eine Banane in der anderen. Er hielt die Banane nach unten gerichtet zwischen seinen Lenden, und als Clodagh hinguckte, simulierte er Erregung und drehte die Banane um, so dass sie aussah wie eine Erektion. »Ach, Mrs. Kelly«, rief er. »Wie schön Sie sind!«

Clodagh lachte, spürte aber, wie die altbekannten Schuldgefühle sich schon wieder in ihr regten.

Mittags gingen sie zum Lunch in ein Restaurant, in denen man sie nicht wie Aussätzige behandelte, weil sie kleine Kinder mitbrachten. Dylan ging los, um ein Kissen für Molly zu besorgen. Clodagh entwand Molly ein Messer und sah aus dem Augenwinkel, wie Dylan angeregt mit der Bedienung sprach - einem langgliedrigen jungen Mädchen -, die angesichts eines so gut aussehenden Mannes errötete.

Der gut aussehende Mann war ihr Ehemann, dachte Clodagh, und plötzlich hatte sie das merkwürdige Gefühl, dass sie ihn kaum erkannte. Es war verwirrend, weil er ihr einerseits so vertraut und andererseits ganz fremd war.

Nähe und Vertrautheit schmälerten die Wirkung seiner sonnenblonden Haare und des Lächelns, das die Haut um seinen Mund in lauter kleine Fältchen legte, und ließen das fröhliche Leuchten seiner haselnussbraunen Augen weniger strahlend erscheinen. Clodagh war überrascht und durcheinander von seiner Schönheit.

Was hatte Ashling gestern gesagt? Du musst den Zauber wieder aufleben lassen.

Vor ihrem inneren Auge flackerte ein Bild auf: Stöhnend vor Begierde und das Geschlecht vor Verlangen geschwollen ließ sie sich in den Sand sinken... Sand? Nein, Moment mal, das war Jean-Pierre, der verführerische Franzose, bei dem ihr die Knie weich wurden und dem sie ihre Jungfräulichkeit geschenkt hatte. Gott, dachte sie seufzend, das war fantastisch gewesen! Damals, mit achtzehn, war sie an der französischen Riviera von Jugendherberge zu Jugendherberge gereist und hatte nie einen hinreißenderen Jungen gesehen. Dabei waren ihre Ansprüche sehr hoch; zum Beispiel hatte sie noch keinen der Jungen aus der Nachbarschaft geküsst. Aber als sie Jean-Pierre mit seinem dunklen, sinnlichen Blick, dem Schmollmund und dem lässigen Gallier-Gang erblickte, beschloss sie, dass er derjenige sein würde, dem sie ihre Jungfräulichkeit zum Geschenk machen würde.

Aber zurück zu Dylan und dem Zauber des Anfangs. Ach ja. Sie erinnerte sich, wie sie ihn fast unter Tränen angefleht hatte: »Ich kann nicht mehr, oh, bitte, steck ihn rein!« Sie rutschte auf dem Rücksitz des Autos nach vorn und ließ die Knie auseinanderklaffen ... Nein, halt, das war auch nicht Dylan. Das war Greg, der amerikanische Football-Spieler, der ein Stipendium für das Trinity College hatte. Leider hatte sie ihn erst drei Monate, bevor er wieder zurückging, kennen gelernt. Er war ein gut aussehender, selbstsicherer, muskulöser Kerl gewesen, und aus irgendeinem Grund hatte sie ihn unwiderstehlich gefunden.

Natürlich hatte sie die gleichen Gefühle auch für Dylan gehabt. Sie suchte ihre Lieblingserinnerung heraus und blies den Staub weg: als sie ihn das erste Mal sah. Ihre Blicke waren sich in einem menschengefüllten Raum begegnet, und bevor sie etwas über ihn erfahren hatte, wusste sie schon alles, was sie wissen musste.

Er war fünf Jahre älter als Clodagh, und neben ihm sahen die anderen jungen Männer wie pickelige, milchgesichtige Bubis aus. Er bewegte sich mit einer Sicherheit und einem weltläufigen Selbstvertrauen, und das verlieh ihm eine unglaubliche Ausstrahlung. Er lächelte, er war charmant, seine Gegenwart war wärmend, erfrischend - und aufbauend: obwohl seine Firma ganz neu gegründet war, hatte Clodagh ein eisernes Vertrauen in seine Fähigkeit, alles richtig zu machen. Und er war zum Reinbeißen süß!

Sie war zwanzig Jahre alt, von seinem blonden Charme hingerissen und schwindlig vor Glück. Er war so richtig für sie, und für sie bestand kein Zweifel daran, dass sie ihn heiraten würde.

Als ihre Eltern auf sie einredeten, dass sie zu jung sei, um sich entscheiden zu können, schlug sie ihren Rat in den Wind. Dylan war der Richtige für sie, sie war die Richtige für Dylan.

»Hier, Molly, das ist für dich!« Er kam mit dem Kissen zurück, nachdem drei Teenager sich halb überschlagen hatten, es ihm geben zu dürfen. Erst in dem Moment bemerkte Clodagh, dass Molly den Inhalt des Salzstreuers in die Zuckerdose geleert hatte.

Nach dem Lunch fuhren sie zum Strand. Es war ein sonniger, windiger Tag und gerade warm genug, dass man die Schuhe ausziehen und mit den Füßen im Wasser waten konnte. Dylan bat einen Mann, der mit seinem Hund spazierenging, ein Foto von ihnen zu machen, wie sie eng zusammengedrängt vor dem sauberen, leeren Sandstrand standen und lächelten, während der Wind ihre blonden Haare über ihre Gesichter peitschte und Clodagh ihren Rock festhielt, damit er sich nicht um ihre nassen Beine ringelte.

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